Fussnoten

Fussnote 18 – Kommunikation

Kommentar

Der hier verwendete Kommunikationsbegriff geht auf Niklas Luhmann zurück. Er hat ihn in «Soziale Systeme» entwickelt und in seinem Aufsatz «Was ist Kommunikation?», der im Sammelband «Sozilogische Aufklärung 6» nachzulesen ist, prägnant zusammengefasst.

Der systemtheoretische Kommunikationsbegriff unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der gemeinen Vorstellung von Kommunikation.

Luhmann fasst Kommunikation als geschlossenes System auf, das die Elemente, aus denen es besteht, durch Kommunikation selbst erzeugt. Damit führt er neben dem biologischen und psychologischen das kommunikative System als drittes autopoietisches System ein. Seine Auffassung von Kommunikation als autopoietisches System hat Luhmann mit der viel zitierten Formulierung auf den Punkt gebracht: «Nur die Kommunikation kann kommunizieren» (1995: 113).

Kommunikation nimmt in der Systemtheorie insofern eine prominente Stellung ein, als Kommunikationen, und nicht Handlungen konstitutiv für soziale Systeme sind. Damit grenzt sich Luhmann von der Sprechakttheorie im Allgemeinen und von der Habermasschen «Theorie des Kommunikativen Handelns» im Besonderen ab. Zentraler Aspekt der systemtheoretischen Kommunikationstheorie ist das Verstehen.

Der von Luhmann eingeführte Kommunikationsbegriff lehnt jegliche Referenz auf psychische Systeme ab. Der Untersuchungsgegenstand der Soziologie sind nicht Individuen und ihre Gedanken, sondern soziale Systeme und Kommunikationen. Diese theoretische Setzung führt oft zu Missverständnissen und Kritik. Sie bildet aber einen attraktiven Ausgangspunkt, weil sie die Frage, wer oder was an Kommunikationen beteiligt ist, grundsätzlich offenlässt. Zentral ist vielmehr die Frage, wie Information prozessiert wird. Dies eröffnet ganz neue Perspektiven, um Kommunikation bzw. soziale Systeme hinsichtlich der Inklusion von Natur, Tier, Mensch und Maschinen zu beobachten.

Wie wir mit Blick auf Kommunikationstechnologie diskutiert haben, entwickelt Luhmann seinen Kommunikationsbegriff in Abgrenzung zur immer noch dominanten Vorstellung der Übertragung von Informationen von einem Sender zu einem Empfänger. Diesem Konzept stellt er in «Soziale Systeme» einen Kommunikationsbegriff entgegen, der auf der Einheit der Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen beruht (vgl. 2018a: 217f).

Bei der Entwicklung seines Kommunikationsbegriffs geht Luhmann zunächst von der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation aus. Diese identifiziert er in dreierlei Hinsichten: Wie ist Verstehen zwischen psychischen Systemen überhaupt möglich? Wie können sie sich gegenseitig erreichen? Und wie kann Kommunikation überhaupt erfolgreich sein?

Auf alle drei Fragen bietet Luhmann eine Antwort: «Diejenigen evolutionären Errungenschaften, die an jenen Bruchstellen von Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren, wollen wir Medien nennen. In Entsprechung zu den drei Arten der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation muss man drei verschiedene Medien unterscheiden […]» (2018a: 220ff).

Das grundlegende Medium, das Verstehen von Kommunikation ermöglicht, ist die Lautlichkeit bzw. die mündliche Sprache. Auf Basis von mündlicher Sprache und unter Anwendung von Kommunikationstechnologien haben sich zwecks Ausdehnung der Reichweite von Kommunikationen sodann Verbreitungsmedien wie Schrift, Buchdruck, elektronische und digitale Medien entwickelt. Um schliesslich den Erfolg von Kommunikation zu sichern, haben sich symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Macht, Geld, Wahrheit u.a. herausgebildet. Sie übernehmen die Funktion, die Erwartbarkeit von Anschlusskommunikation unter bestimmten Bedingungen zu steigern.

«Sprache, Verbreitungsmedien und symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien», so Luhmann, «sind mithin evolutionäre Errungenschaften, die, in Abhängigkeit voneinander, die Informationsverarbeitungsleistungen begründen und steigern, die durch soziale Kommunikation erbracht werden können. Auf diese Weise produziert und reproduziert sich Gesellschaft als soziales System» (2018a: 222f).

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Kommunikation kommt durch die Synthese von drei verschiedenen Selektionen zustande, nämlich der Selektion einer Information, der Selektion der Mitteilung dieser Information und der Selektion des Verstehens dieser Mitteilung und ihrer Information (vgl. 2018a: 194ff).

Dieser Vorgang lässt sich am einfachsten am sozialen System der Interaktion (Kommunikation unter Anwesenden) illustrieren. Eine sich mitteilende Person, bei Luhmann «Alter» genannt, selegiert in einem bestimmten Kontext aus verschiedenen Möglichkeiten eine Information und wählt für die Mitteilung eine bestimmte Darstellungsweise. Der Adressat, «Ego» genannt, versteht die Mitteilung, wenn er sie unter anderen informativen Ereignissen als Mitteilung selegiert. Dies tut er, indem er bei der mitgeteilten Information zwischen Information und Mitteilung unterscheidet. «Im Verstehen», so Luhmann, «erfasst Kommunikation einen Unterschied zwischen dem Informationswert ihres Inhalts und den Gründen, aus denen der Inhalt mitgeteilt wird. Sie kann dabei die eine oder andere Seite betonen, also mehr auf die Information selbst oder auf das expressive Verhalten achten. Sie ist aber immer darauf angewiesen, dass beides als Selektion erfahren und dadurch unterschieden wird» (1995: 115).

Erst mit dem Verstehen also kommt Kommunikation als soziale Operation zum Abschluss. Deshalb analysiert Luhmann Kommunikation immer vom Verstehen her.

Gegen Ende seines Wirkens ahnte Luhmann, dass der von ihm eingeführte Kommunikationsbegriff mit der Einführung des Leitmediums Computer an seine Grenzen stossen würde. Er kam allerdings nicht mehr dazu, ihn zu reformulieren. Es blieb bei Beobachtungen und Spekulationen.

In seiner im Wintersemester 1991/92 an der Universität Bielefeld gehaltenen Vorlesung «Einführung in die Systemtheorie» schloss er seine Einlassungen über die Kommunikation mit den Worten: «Eine letzte und ganz offene Frage, auf die ich überhaupt keine Antwort weiss, ist, ob wir mit Kommunikation auch noch dann rechnen, wenn auf Serialität verzichtet wird, wenn man Computerinformationssysteme hat, aus denen man sich fallweise etwas heraussucht, das man selbst dann neue kombiniert, und in denen nicht ein Satz auf den anderen folgt, sondern eine Information da ist und dann ein Spektrum von Verweisungen auf andere Informationen gegeben ist» (2020: 302).

Und er wirft Fragen auf: «Wer kommuniziert jetzt mit wem? Eignet sich unser Begriff überhaupt noch dafür? Oder sind wir an einer Schwelle, wo man sieht, dass wichtige Informationsverarbeitungsverfahren unserer Gesellschaft schon nicht mehr als Kommunikation klassifiziert werden? Oder müssen wir den Begriff neu bilden?» (ebd.: 302).

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Den Ausdruck Künstliche Kommunikation hat Elena Esposito in ihrem Buch «Artificial Communication» entwickelt und geprägt. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Beobachtung, dass die Rede von Künstlicher Intelligenz irreführend sei. Wenn sich Algorithmen an Kommunikationen beteiligten, so Esposito, hätten wir es nicht mit künstlichen Formen der Intelligenz, sondern mit künstlichen Formen der Kommunikation zu tun (vgl. 2022: 2).

Eine Kommunikation ist nach Esposito «künstlich», wenn sie eine Entität – zum Beispiel ein Algorithmus – einbezieht, die von einer Person für die Teilnahme an Kommunikation gebaut und programmiert worden ist, ohne dass diese Person selbst an der Kommunikation teilnimmt (vgl. ebd.: 14). Wie wir unten sehen werden, hat der Ausschluss des Herstellers und Programmierers dieser Entität vermutlich mit der Frage nach der Kontingenz in der Kommunikation zu tun.

Wenn wir die Analogie zwischen Bewusstseinssystemen und künstlicher Intelligenz fallen lassen, dann können Algorithmen in Kommunikationen von der Selektion des Verstehens befreit werden. Dieser Entlastung verdanken sie ihre Stärke und ihren Erfolg bei der Teilnahme an künstlicher Kommunikation. Ihre Effizienz bei der Verarbeitung von Daten und beim Identifizieren von Mustern führt zu unvorhersehbaren und überraschenden Informationen, die ein neues Licht auf die Selbstbeobachtung sozialer Systeme wirft.

«Maybe our society as a whole becomes ‹smarter› not because it artificially reproduces intelligence, but because it creates a new form of communication using data in a different way» (2022: 5).

Wie in der Diskussion des systemtheoretischen Kommunikationsbegriffs bereits festgestellt, fokussiert er auf die Frage, wie Information prozessiert wird. Die Frage, wer oder was an Kommunikation beteiligt ist, ist nicht von Belangen. Vor diesem Hintergrund fragt Esposito nach, welche Eigenschaften die am Kommunikationsprozess beteiligten Entitäten typischerweise auszeichnen. Ihre Antwort: Es muss sich bei ihnen um kontingente, autonome Kommunikationspartner handeln (vgl. ebd.: 9). Trifft dies für Algorithmen zu?

Esposito diskutiert diese Frage im Anschluss an die von Heinz von Foerster eingeführte Differenz zwischen trivialen Maschinen und nicht-trivialen Maschinen. Verkürzt zusammengefasst, erwarten wir bei trivialen Maschinen auf einen bestimmten Input immer den gleichen Output. Bei nicht-trivialen Maschinen indes erwarten wir einen überraschenden Output.

Aktuelle Algorithmen, so Esposito, hätten eine Ähnlichkeit mit nicht-trivialen Maschinen: «The expected outcome is not predicted by anyone and, in the case of self-learning algorithms, could not be predicted – that’s why we use algorithms, and why they appear creative» (ebd.). Diese Erwartung an nicht-triviale Algorithmen stellt die Programmierer vor die Herausforderung, Algorithmen zu programmieren, die gleichzeig kreativ und kontrolliert sind. Denn der Zweck nicht-trivialer Algorithmen ist die kontrollierte Unkontrollierbarkeit.

Der Punkt, auf den Esposito hinauswill, ist, dass nicht-triviale Algorithmen in Kommunikationen eine Kontingenz bereitstellen, die weder einem Bewusstseinssystem noch den Algorithmen selbst zugerechnet werden kann. Stattdessen: «What the algorithm reflects and represents is the perspectives of other observers; what the user observes through the machine is the outcome of the processing of other user’s observation» (ebd.: 10). Esposito hat dieses Konzept bereits früher unter dem Ausdruck der Virtuellen Kontingenz diskutiert.

Künstliche Kommunikation im Internet ist möglich, weil Bewusstseinssysteme und Algorithmen über Adressen miteinander vernetzt sind. Wie Parasiten verschlingen Algorithmen die von Bewusstseinssystemen hinterlassenen Datenspuren und nutzen diese, um ihre eigene Komplexität und ihre kommunikativen Fähigkeiten zu steigern.

Deshalb selegieren die an Kommunikation beteiligten Algorithmen Informationen nicht zufällig. Ihre Selektionen widerspiegeln vielmehr die Selektionsmuster der an Kommunikation beteiligten Bewusstseinssysteme. Dies führt dazu, dass Bewusstseinssysteme auf ihre Kontingenz kontingente Antworten erhalten, indem die Kontingenz anderer Bewusstseinssysteme in Anspruch genommen wird.

Algorithmen stellen also nie unabhängig Kontingenz her. Sie prozesszieren die von Bewusstseinssystemen hergestellte Kontingenz in beispielloser Art und Weise. Dies erweitert die Möglichkeiten und Kontingenzen in Kommunikationen.

Was die Autonomie von Algorithmen betrifft, hält Esposito fest, dass selbstlernende Algorithmen autonom entscheiden, wie und was sie lernen. Ihre Programmierer bestimmen lediglich eine Reihe von Abläufen, die es Algorithmen ermöglichen, einen eigenen Weg zur Lösung einer Aufgabe zu entwickeln oder ihre Aufgabe sogar selbst bestimmen. «The programmers», so Esposito, «do not know what the machine is learning, instead they teach it to learn autonomously» (ebd.: 14).

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Betriebssysteme nehmen an künstlicher Kommunikation teil, obwohl sie vom psychischen Sinn-Verstehen befreit sind. Einerseits bedeutet dies, dass bei ihnen die Operation des Differenz-Verstehens wegfällt. Sie sind sich nicht «bewusst», dass bei den an der Kommunikation beteiligten Bewusstseinssystemen eine Differenz von Information und Mitteilung vorliegt. Sie registrieren lediglich deren Mitteilungen. Andererseits bedeutet dies, dass die Mitteilungen der Bewusstseinssysteme in den Betriebssystemen zwar eine Zustandsänderung auslösen können, was aber nicht heisst, dass sie auch den Sinn dieser Mitteilungen verstehen. Die Sinnzuschreibungen zu den von Betriebssystemen kalkulierten Outputs erfolgen wiederum durch Bewusstseinssysteme.

In ihrem Buch «Menschliche Kommunikation» definieren Paul Watzlawick et al. den Begriff der Metakommunikation wie folgt: «Wenn wir Kommunikation nicht mehr ausschliesslich zur Kommunikation verwenden, sondern um über die Kommunikation selbst zu kommunizieren […], so verwenden wir Begriffe, die nicht mehr Teil der Kommunikation sind, sondern (im Sinne des griechischen Präfix meta) von ihr handeln» (2017: 47).

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