Fussnoten

Fussnote 1 – Computer

These

Das Leitmedium der nächsten Gesellschaft ist der Computer. Wie zuvor Sprache, Schrift und Buchdruck erweitert auch der Computer die Möglichkeiten des Kommunizierens in der Gesellschaft dramatisch. Dies versetzt die Gesellschaft so lange in Unruhe, bis sie sich in einer neuen Medienepoche restabilisiert hat.

Gesellschaft ist die Gesamtheit aller Kommunikationen. Wenn sich die Möglichkeiten des Kommunizierens durch die Einführung eines neuen Leitmediums verändern, dann verändert sich auch die Gesellschaft. Um diese Veränderungen in den Blick zu bekommen, brauchen wir zunächst einen Begriff von Kommunikationsmedien.

Kommunikationsmedien sind keine Kanäle, die Informationen von einem Sender zu einem Empfänger übertragen. Der Sender übergibt dem Empfänger keine Information wie ein Objekt, das er durch die Übertragung verliert. Es wird nichts übertragen (vgl. Luhmann, 1984, S. 193-194).

Informationsverarbeitung ist immer ein interner Prozess von Sender und Empfänger. Damit Kommunikation als ein Selektionsprozess von Information, Mitteilung und Verstehen dennoch zustande kommen kann, braucht es ein «System höherer Ordnung», das Kontakte zwischen Personen zulässt (Luhmann, 1997, S. 194). Damit ist die Gesellschaft als das umfassendste Sozialsystem gemeint, die – wie eingangs erwähnt – aus Kommunikationen besteht.

Da der Begriff der Übertragung im Zusammenhang mit Kommunikationsmedien wenig plausibel erscheint, ersetzt ihn die soziologische Systemtheorie durch die Unterscheidung von Medium und Form. Die Abkehr von der ontologischen Suche nach dem zu übermittelnden Etwas hin zur Differenz von Medium und Form ermöglicht eine komplexere Beobachtung und Beschreibung des Kommunikationsprozesses.

˅ Medium und Form

Kommunikation ist das Prozessieren der Differenz von Medium und Form. Was das genau bedeutet, werden wir in diesem Unterkapitel klären (vgl. Luhmann, 1997, S. 195-202). Zuvor wollen wir einige allgemeine Bemerkungen zur Differenz von Medium und Form anbringen.

Der Begriff des Mediums nimmt in der soziologischen Systemtheorie eine zentrale Stellung ein. Von Luhmann im Anschluss an Fritz Heiders Untersuchungen über Wahrnehmungsmedien und an George Spencer-Browns Zwei-Seiten-Form entwickelt, unterscheidet er sich klar vom Medienbegriff der klassischen Medienwissenschaften.

Das Prozessieren der Differenz von Medium und Form ist ein systeminterner Sachverhalt. Im Fall von sinnprozessierenden Systemen sind dies psychische und soziale Systeme. Beide reduzieren und strukturieren Komplexität, die aus den Elementen eines Systems und deren Relationierung besteht.

Die systeminterne Handhabung von Komplexität lässt sich dekomponieren durch die Unterscheidung von Medium und Form sowie durch die Unterscheidung von loser und strikter Kopplung. Letztere Unterscheidung geht davon aus, dass nicht jedes Element in einem System mit einem anderen Element gekoppelt werden kann. Deshalb braucht zusätzlich die Unterscheidung von Medium und Form, die Selektionskriterien für die Kopplung von Elementen vorgibt und damit die Schaffung sowie Aufrechterhaltung einer internen Ordnung ermöglicht.

Wenn wir nun die Unterscheidung von Medium und Form näher betrachten, so tun wir dies am Beispiel der natürlichen Sprache. Einerseits wird sie von psychischen und sozialen Systemen genutzt. Dies macht andererseits die folgenden Ausführungen anschaulicher.

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Leitmedium

Für den Begriff Medium gibt es keine abschliessende Definition. Er wird je nach Kontext unterschiedlich verwendet. Auch der Unterschied zwischen Medium und Leitmedium ist nicht so trennscharf. Daher nehmen wir an dieser Stelle konzeptionelle und semantische Setzungen vor, um den Begriff des Leitmediums zu schärfen und uns mit diesem geschärften Begriff dem Phänomen des Leitmedienwechsels zu nähern.

Im Anschluss an Fritz Heiders Aufsatz «Ding und Medium» aus dem Jahr 1926 hat Niklas Luhmann eine systemtheoretische Medientheorie entwickelt. Darin spielt die Unterscheidung von Medium und Form eine zentrale Rolle. Im Kontext der Kommunikation umfasst der von Luhmann spezifizierte Medienbegriff drei Medientypen, die die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation wahrscheinlich machen (vgl. 1997: 190 ff.). So macht das Kommunikationsmedium Sprache das Verstehen, die Verbreitungsmedien das Erreichen und die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien wie Macht, Geld, Wahrheit oder Liebe den Erfolg von Kommunikation wahrscheinlich.

Jochen Hörisch schlägt in seinem Buch «Bedeutsamkeit» vor, ein Leitmedium als ein «Massenmedium» zu verstehen, «das zu einer bestimmten Zeit (häufig auch in einer langandauernden Epoche) in einem bestimmten Raum (das können mehrere Weltecken zugleich sein) teilnahmepflichtig bzw. nur um den Preis scharfer Sanktionen vermeidbar ist» (2009: 269). Ein Leitmedium zeichnet sich nach dieser Definition durch Teilnahmepflicht aus. Oder mit anderen Worten: Die Verweigerung der Teilnahme an einem Leitmedium kann zum Selbstausschluss (Selbst-Exkommunikation) aus der Gesellschaft führen.

Hinsichtlich der drei Medientypen vermuten wir, dass die Verweigerung der Teilnahme am Kommunikationsmedium Sprache und an einem der Verbreitungsmedien einem Selbstausschluss aus der Gesellschaft näherkommt als die Verweigerung eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums. Letzteres führt allenfalls zum Ausschluss aus einem bestimmten sozialen (Funktions-)System.

Wenn wir im Folgenden von Leitmedien oder Leitmedienwechsel sprechen, meinen wir daher neben der Sprache als grundlegendem Kommunikationsmedium auch die Verbreitungsmedien, die zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten geographischen Raum teilnahmepflichtig geworden sind.

Leitmedienwechsel

Luhmann diskutiert in «Die Gesellschaft der Gesellschaft» vier Leitmedienwechsel: den Wechsel von nonverbaler Kommunikation zur Sprache, von Sprache zur Schrift, von Schrift zum Buchdruck und vom Buchdruck zu elektronischen Medien. Letztere werden wir unter dem Titel «Computer» behandeln.

Die Einführung eines neuen Leitmediums bedeutet nicht, dass vorangehende Leitmedien verschwinden. Schrift und Buchdruck sind im Sinne der Teilnahmepflicht auch heute noch relevant. Es ist aber davon auszugehen, dass sie relativ zum Computer in der Gesellschaft eine weniger dominante und eine andere Aufgabe wahrnehmen werden. Die Medienwissenschaft diskutiert diese These unter dem Titel «Rieplsches Gesetz».

Die Sprache als grundlegendes Kommunikationsmedium nimmt im Kontext der Leitmedienwechsel eine Sonderstellung ein, weil sie die Autopoiesis der Gesellschaft garantiert. Ihre Einführung markierte den Übergang von der nonverbalen zur verbalen Kommunikation und schuf die Voraussetzung für die Ausdifferenzierung der Verbreitungsmedien. Die Einführung der Sprache ermöglichte die mündliche Kommunikation zwischen Anwesenden.

˅ Sprache

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˅ Schrift

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˅ Buchdruck

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˅ Computer

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Medienkatastrophe

Da ein neues Leitmedium immer mehr Sinn produziert, als die Gesellschaft verarbeiten kann, spricht man mit Blick auf einen Leitmedienwechsel auch von einer Medienkatastrophe. Sie beginnt mit dem Aufbrechen bestehender Strukturen und der Infragestellung tradierter Kulturformen und endet mit deren Restabilisierung.

In seinen «Studien zur nächsten Gesellschaft» schreibt Dirk Baecker in diesem Zusammenhang: «In jeder dieser Katastrophen explodierte der von der Gesellschaft zu bearbeitende Überschusssinn und es mussten […] Kulturformen gefunden werden, die es ermöglichen, diesen Überschusssinn nach Bedarf und Fähigkeit entweder selektiv abzulehnen oder positiv aufzunehmen» (2007: S.34).

In «4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt» wiederholt er: «Die spezifische Herausforderung liegt darin, dass eine Gesellschaft Strukturen entwickeln muss, die die Verwendung dieser Medien [gemeint sind Verbreitungsmedien der Kommunikation, Anm. CMS] an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft sicherstellen, das heisst sowohl ermöglichen als auch einschränken. Keine Gesellschaft lässt zu, dass Medien beliebig verwendet werden» (2018: S.26f).

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